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Schwerpunkt - Pferde


Das Schwere Warmblutpferd der Oldenburger-Ostfriesischen Zuchtrichtung


Kai-Uwe Sprenger, Dresden

Das Schwere Warmblutpferd

Vergangenheit und Gegenwart einer fast vergessenen Rasse

Bis heute haben Schwere Warmblüter der oldenburger-ostfriesischen Zuchtrichtung nichts von der Faszination verloren, die sie für Generationen von Pferdezüchtern und -nutzern hatten. Bis in unser Jahrhundert hinein lag ihr Einsatzgebiet in der Landwirtschaft auf mittelschweren Böden und im Fuhrgewerbe. Die Armee nutzte schwere Warmblüter als Troßpferde und für die bespannte Artillerie. Mit der sinkenden wirtschaftlichen Bedeutung des Pferdes gingen auch die Bestände dieser klassischen Kutschpferderasse rapide zurück. Es grenzt schon an ein Wunder, daß eine kleine Restpopulation den Niedergang der Rasse überlebte. Sie ist heute sowohl Kulturgut als auch genetische Reserve.

Geschichte

Die Oldenburger Pferdezucht wurde im 15. Jahrhundert erstmalig erwähnt. Besonders durch Graf Anton Günter (1603-1667) erhielt sie eine Förderung. In Ostfriesland wurde die Zucht vor allem durch Vögte und Deichgrafen gefördert. Ab 1815 wurden vermehrt Oldenburger Hengste eingesetzt und ab 1880 wurde jegliche Fremdblutzufuhr aus anderen Zuchtgebieten eingestellt. Es kam immer mehr zur Angleichung des Typs an das Oldenburger Pferd, so daß beide Zuchten einer Rasse zuzuordnen sind.

Die Zuchtorganisation in Oldenburg und Ostfriesland war schon früh auf sehr hohem Niveau. Die erste Hengstkörordnung der Welt wurde 1715 vom ostfriesischen Fürsten Georg Albrecht erlassen. Die beiden Pferdezuchtverbände wurden 1861 (Oldenburg) und 1869 (Ostfriesland) gegründet. Im Jahre 1923 wurden beide Stutbücher vereint und zur Erhärtung der Reinzucht geschlossen.

Man orientierte sich auf ein mittelrahmiges, starkknochiges und leichtfuttriges Arbeitspferd. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte eine Veredlungsphase mit Hilfe von Arabischen und Englischen Vollblütern sowie einem Anglo-Normannen ein. Ab Mitte der sechziger Jahre muß die angewandte Zuchtmethode im Hochzuchtgebiet als vielseitige Kombinationszüchtung bezeichnet werden, welche die Umstellung auf ein elegantes Reitpferd beinhaltete. Im Jahre 1971 wurde der letzte Beschäler klassischer Blutführung aus der Zucht genommen. Heute existiert im einstigen Hochzuchtgebiet eine kleine Population Schwerer Warmblutpferde, die von engagierten Züchtern als kulturelles Erbe gepflegt wird.

Bereits um die Jahrhundertwende erfolgten größere Exporte von Hengsten und Stuten in die Nachzuchtgebiete, besonders nach Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Schlesien, Bayern, Holland, Dänemark und vereinzelt auch nach Württemberg.

Die heute in Deutschland existierenden Schweren Warmblutbestände rekrutieren sich im wesentlichen aus den ehemaligen Nachzuchtgebieten Sachsen und Thüringen. Dort setzte der Umzüchtungsprozeß zum Reitpferd später als im Hochzuchtgebiet ein. Im Laufe der sechziger Jahre nahmen die Bestände an Schweren Warmblutstuten auch in Sachsen und Thüringen stark ab, bis es zum völligen Erliegen der Zucht kam. In den Jahren 1975/76 deckten weder in Sachsen noch in Thüringen Schwere Warmbluthengste. Dank des engagierten Eintretens von Züchtern, Zuchtleitung und insbesondere der damaligen Landstallmeisterin von Moritzburg, Frau Dr. Herta Steiner, wurden die abgekörten Hengste nicht kastriert und verdienten als Kutschpferde weiter ihren Hafer, so daß 1977 erstmals wieder drei Hengste auf Station gingen. Unter ihnen befand sich der 1962 in Oldenburg geborene "Eros", der noch bis 1986 im Deckeinsatz war. Mit insgesamt 10 Althengsten und den noch vorhandenen Stuten wurde die Rasse "reaktiviert". Die erste Hengstkörung nach der Zuchtpause fand 1981 statt. Abbildung 1 zeigt die Entwicklung des Durchschnittsalters des zuchtaktiven Hengstbestandes. Deutlich wird der Generationswechsel in den 80er Jahren.

Gegenwärtige Situation

Inzwischen gibt es in Sachsen und Thüringen fast 700 Stuten, denen 22 Hengste des Sächsischen Landgestütes Moritzburg und drei Privathengste zur Bedeckung zur Verfügung stehen. Rund 70% der Stuten werden jährlich bedeckt. Auf den ersten Blick scheint die Rasse gerettet. Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der Effektiven Populationsgröße Ne = 4NwNm/Nw+Nm. Sie sollte nach SIMON (1992) nicht kleiner als Ne = 50 sein, um Inzuchtzuwachs und genetische Drift möglichst gering zu halten. Dies setzt jedoch genetisch unverwandte Vatertiere voraus, was beim Schweren Warmblut bei weitem nicht der Fall ist. Die Auswirkungen der Zuchtpause werden jetzt erst spürbar. Bedingt durch die zeitweise sehr wenigen Vatertiere war die Population einer starken Genetischen Drift unterworfen. Dies wird durch die großen Nachkommenschaften einzelner, von den Züchtern stark frequentierter Hengste, noch verstärkt.

Im vergangenen Jahr erschien unter Herausgabe des Pferdezuchtverbandes Sachsen ein "Hengstbuch der Schweren Warmblutzucht". In ihm wurden die heute noch erfaßbaren Informationen über die genealogische Entwicklung der in Deutschland existierenden Zuchten Schwerer Warmblutpferde zusammengetragen. Es existiert nunmehr ein zuchtgeschichtliches Dokument und ein Arbeitsmittel zur genealogischen Systematisierung der Population. Der damit vorliegende Datenbestand erlaubte populationsgenetische Untersuchungen, insbesondere zu Inzucht- und Verwandtschaftsverhältnissen. Die Abbildung 3 und Abbildung 4 zeigen die durchschnittlichen Inzucht- und Verwandtschaftskoeffizienten der Hengste nach Geburtsjahrgängen. Die immer enger werdenden Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Hengsten weisen auf den bevorstehenden Inzuchtzuwachs hin. Die gegenwärtig zuchtaktiven Hengste haben einen durchschnittlichen Inzuchtkoeffizienten von F(x) = 2,3%. Der mittlere Wert aller Verwandtschaftskoeffizienten zwischen diesen Hengsten beträgt R(AB) = 7,0%.

Insbesondere die genealogische Enge im Hengstbestand und die damit verbundene Inzuchtsteigerung stellt zukünftig hohe Anforderungen an ein Zuchtprogramm für den Erhalt dieser Rasse. Der gezielte Einsatz von Hengsten verwandter Populationen (Dänemark, Polen) ist dabei von ebensolcher Bedeutung wie die permanente Kontrolle der Inzucht- und Verwandtschaftsverhältnisse oder die Kryokonservierung von Sperma ausgewählter Hengste. Der Freistaat Sachsen fördert die Zucht mit einer Haltungsprämie von 200 DM pro Stute. Die Prämie wird jährlich gewährt, wenn die Stute mindestens aller drei Jahre in Reinzucht bedeckt wird.

Es geht jedoch nicht nur um die zu erhaltende genetische Reserve sondern auch um die Erhaltung des Phänotyps. Dies macht eine Typ- und Exterieurselektion in gewissem Umfang unumgänglich. Ruhiges Temperament und Zugwilligkeit, Leichtfuttrigkeit und eine bestechende Gangmechanik bestimmten die Zuchtziele des Schweren Warmblutpferdes seit dem vorigen Jahrhundert. Sie ermöglichen heute den vorzugsweisen Einsatz dieser Pferde vor dem Wagen, ob nun im Fahrsport oder als repräsentatives Gespann. Auch unter dem Sattel zeigt sich der Schwere Warmblüter als geeignet. Sein ruhiges Temperament lassen ihn beim therapeutischen Reiten und im Freizeitsport zum Einsatz kommen. Signalwirkung hatte der Verkauf von 14 Rappwallachen an die "Household Cavalry", die Kavallerie des britischen Königshauses. Nicht zu vergessen sei der Einsatz im Forst, wo aus ökologischen Gründen die Bedeutung von Rückepferden gegenüber schwerer Technik steigt. Neben den genannten Marktchancen sind die Kreuzungsprodukte aus Schwerer Warmblutstute und Vollbluthengst als klassische Hunter für den Reitsport einsetzbar.

Es bleibt zu wünschen, daß es gelingt, das Schwere Warmblutpferd auf oldenburger-ostfriesischer Grundlage als kulturhistorisches Gut zu erhalten und ihm auf Grund seiner exterieuren und interieuren Eigenschaften einen Platz unter den Pferderassen der Welt zu sichern. Dies ist jedoch auf lange Sicht nur möglich, wenn alle Zuchtverbände, in denen Teilpopulationen dieser Rasse existieren, zusammenarbeiten.

Moritzburger Hengstparaden:

immer letztes Augustwochenende und an den ersten beiden ersten Septemberwochenenden, Information im Landgestüt Moritzburg (035207/407


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